„Glück, das vom Himmel gefallen ist“

„Magenentleerungsgeschwindigkeit“ – Ein schwer auszusprechendes Wort. Erst recht, wenn Deutsch nicht die Muttersprache ist. Luis Antonio Gonzalez Trejo und Alejandro Samano Guerrero gelingt die Aussprache dennoch sehr gut. Die beiden mexikanischen Ärzte sind seit Ende Mai 2018 in Freiburg und bereiten sich bei der Freiburg International Academy gGmbH (FIA) auf die Fachsprachprüfung vor. Beide sind sie mit demselben Ziel nach Deutschland gekommen: Sie möchten hier arbeiten. Und dazu benötigen sie die deutsche Approbation.
Luis Antonio Gonzalez Trejo hat in San Nicolas de los Garza an der Universidad Autònoma de Nuevo León Medizin studiert. Allerdings ist es sehr schwierig in Mexiko eine Arbeitsstelle zu finden, da es mehr Ärztinnen und Ärzte als Arbeitsplätze gibt. Deshalb verlassen viele junge Mediziner ihr Heimatland kurz nach Beendigung ihres Studiums. Für Luis Antonio Gonzalez Trejo war schnell klar, dass er in Deutschland arbeiten will, da die Bedingungen für ausländische Gesundheitsfachkräfte hier sehr gut sind. Die vielen Regeln und Vorschriften, die es in Deutschland zu beachten gilt, waren für den 27-Jähringen nicht abschreckend – im Gegenteil: „In Mexiko gibt es nicht so viele Regeln. Wir müssen alles improvisieren, es gibt nichts, auf das du dich verlassen kannst, das ist hier anders. Du weißt, was du liefern musst.“ Eine dieser Verlässlichkeiten ist, dass man, um in Deutschland als Arzt arbeiten zu dürfen, mindestens das Sprachniveau B2 haben muss. Innerhalb zwei Jahre lernte er gemeinsam mit Alejandro Samano Guerrero auf einer privaten Schule in Mexiko die deutsche Sprache. Die beiden kannten sich schon zuvor und da sie dasselbe Ziel verfolgen, packen sie es fortan zusammen an. Studiert hat Alejandro Samano Guerrero an der Universidad de Monterrey in der gleichnamigen Stadt.
In Mexiko umfasst das Medizinstudium sechs Jahre plus ein Jahr sozialer Dienst (Servicio Social), der im ländlichen Raum abzuleisten ist. Somit soll das Gesundheitswesen auch in abgelegenen Gegenden gewährleistet werden. Dort sind die Krankenhäuser jedoch oftmals nicht mit den notwenigen technischen Instrumenten ausgerüstet und Weiterbildungsmaßnahmen gibt es auch nicht, sodass die meisten Ärzte nach diesem Jahr wieder in die Städte zurückwollen – wo es jedoch zu wenige Stellen gibt. Für Alejandro Samano Guerrero war das ein Grund warum er nach Deutschland wollte. Von einer Bekannten seiner Mutter wurden sie auf das Pilotprojekt „Vermittlung mexikanischer Ärztinnen und Ärzte“ aufmerksam gemacht.
Das Projekt ist eine Zusammenarbeit der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) und der mexikanischen Arbeitsverwaltung (Servicio Nacional de Empleo SNE) und wurde für die Gewinnung von medizinischen Fachkräften ins Leben gerufen. Zunächst wird es in den drei IQ Landesnetzwerken Baden-Württemberg, Bayern und Mecklenburg-Vorpommern erprobt, da hier ein gravierender Ärztemangel, vor allem in den ländlichen Regionen, vorherrscht. Um diesem Herr zu werden, stellt das Projekt an seine Teilnehmenden die Bedingung, dass sie nach Erhalt der deutschen Approbation für eine gewisse Zeit ihre Arzttätigkeit auf dem Land ausüben.
Von der mexikanischen Arbeitsagentur bekamen Luis Antonio Gonzalez Trejo und Alejandro Samano Guerrero die notwendigen Informationen, welche Unterlagen und Dokumente sie nach Deutschland an die Arbeitsagentur schicken müssen. Im August 2017 hatten sie die geforderten Unterlagen an die deutsche Arbeitsagentur geschickt. Knapp vier Monate später erhielten sie positive Antwort: Sie sind in das Projekt aufgenommen und werden bei der FIA Freiburg ihre Vorbereitungskurse absolvieren. „Das war wie ein Glück, das vom Himmel gefallen ist“, erinnert sich Luis Antonio Gonzalez Trejo.
Seit 21. Juni 2018 besuchen sie den dreimonatigen Fachsprachkurs der FIA und haben schon viel gelernt. Obwohl beide bereits bei ihrer Ankunft in Freiburg die deutsche Sprache auf einem hohen Niveau beherrschten, ist der Kurs für Luis Antonio Gonzalez Trejo und Alejandro Samano Guerrero enorm wichtig. „Die Alltagssprache unterscheidet sich doch stark von der Sprache, die in den Kliniken oder Krankenhäusern gesprochen wird“, findet Luis Antonio Gonzalez Trejo, „in dem Kurs werden wir darauf optimal vorbereitet.“ Zusammen mit sechs weiteren Kursteilnehmenden lernen sie im Präsenzunterricht sich verständlich auszudrücken, Ärztedokumentationen zu lesen, zu verstehen und selbst zu schreiben. Vor allem die Unterrichtseinheiten mit den Schauspielpatienten empfinden beiden als extrem hilf- und lehrreich.
Zwei Mal in der Woche kommt in den Fachsprachkurs eine Schauspielpatientin oder ein Schauspielpatient in die Klasse und simuliert eine Krankheit. Wie in einer realen Arzt-Patientensituation befragt eine Teilnehmerin oder ein Teilnehmer den „Patienten“, untersucht ihn und stellt im Anschluss daran eine Diagnose, die mit dem Dozenten und den Kursteilnehmenden diskutiert und erörtert wird. Mit dieser Lernmethode werden sowohl die fachsprachlichen als auch die fachpraktischen Kompetenzen erweitert und vertieft. Luis Antonio Gonzalez Trejo schätzt daran besonders, dass nicht nur die Teilnehmenden hinterher ihr Feedback zu Behandlungsart, Rhetorik sowie Verhalten abgeben, sondern auch die Schauspielpatientin oder der Schauspielpatient sagt, was aus Sicht der erkrankten Person gut oder schlecht war. Der Lerneffekt ist dadurch ein viel höherer.
Neben dem Präsenzunterricht, der pro Wochentag sechs Unterrichtseinheiten umfasst, steht ihnen, genau wie allen FIA-Kursteilnehmenden, ein E-Learning-Programm (ILIAS) zur Verfügung. Das Onlineprogramm ist passgenau zu den Lerninhalten des Unterrichts entwickelt worden. Dieser kann somit bequem und jederzeit wiederholt, vertieft sowie nachgearbeitet werden. „Für die Hausaufgaben brauche ich etwa zwei Stunden“, sagt Alejandro Samano Guerrero, „gegenüber unseren Mitschülern, die aus dem Arabischen Sprachraum kommen, haben wir den Vorteil, dass die Medizinbegriffe in Deutschland zumeist immer in lateinischer Sprache sind und diese dem spanischen sehr ähnlich ist. Das macht es einfacher.“
Etwas Sorgen machen den jungen mexikanischen Ärzten die vielen verschiedenen Dialekte Baden-Württembergs. „Wenn wir nach der Approbation in eine ländlichere Gegend kommen, wird es für uns spannend, ob wir alles verstehen“ glaubt Alejandro Samano Guerrero, „aber wir freuen uns darauf und üben jetzt schon Dialekt zu sprechen.“ Zum Üben haben ein paar Monate, denn nach der Fachsprachprüfung steht erst einmal der Vorbereitungskurs für die Kenntnisprüfung an. Dennoch würde dem 27-Jährigen jetzt schon freuen, wenn in der Nähe seines zukünftigen Arbeitsplatzes ein größerer See läge. Denn das Meer, das in seiner Heimatstadt Tampico fußläufig zu erreichen ist, vermisst er am meisten seit er in Freiburg ist. Ansonsten sind die beiden jedoch rundum zufrieden. „Wir werden perfekt umsorgt, sei es, wenn es um Fragen zum Unterricht, der Prüfung oder Unterlagen geht, aber auch bei Frage zu Behördengängen, Ausgehtipps und Einkaufsmöglichkeiten steht immer jemand von der FIA-Betreuung zur Verfügung“, freut sich Luis Antonio Gonzalez Trejo und verrät mit einem schelmischen Schmunzeln, dass „Magenentleerungsgeschwindigkeit“ auf Spanisch „velocidad del vaciamiento gástico“ heißt. Das wiederum ist für Nicht-Spanier schwer auszusprechen.
Text: Barbara Meyer, Fotos: Michael Riemann